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Abdruck aus
MFK - Info
Perspektiven - Ideen - Diskussion
Informationen des Münchner Familienkollegs
Nr. 2 / 95, 4. Jahrgang
© 1995 by Münchner Familienkolleg und der Autorin
Das
ist so! - Ist das so?
Ganz subjektive Eindrücke
zu Bert Hellingers "Familienaufstellungen"
Barbara Schöpf
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Nachdem aufgrund der allseits bekannten härteren „Familienphase“
(Kinder & Co.) die letzten neueren Trends in Sachen Familientherapie
etwas an mir vorbeigelaufen sind, beschloß ich, am Kongreß für Hypnose
und Psychotherapie nach Milton H. Erickson teilzunehmen, der unlängst
(1995) in München war und mir u.a. Bert Hellingers Arbeit etwas genauer
anzuschauen.
Vorausschicken möchte ich, daß ich (aufgrund der immer noch andauernden
o.e. Familienphase) mich nicht mit Hellingers Büchern beschäftigt,
lediglich einige, z.T. heftige Diskussionen im Kollegenkreis erlebt hatte,
innerhalb derer durchaus schon mal einer seiner wohl bekannteren Sätze
(natürlich aus dem Zusammenhang gerissen!) zitiert wurden, wie z.B. in Mißbrauchsfällen
das an die Mutter gerichtete „ich
hab’s für Dich getan, Mutter“. Ich geb’ also gerne zu, daß ich
nicht ganz vorurteilsfrei in diese Veranstaltung ging, aber nachdem ich
dann dort einen Vormittag lang saß, sah, hörte und fühlte, sträubte
sich auch in mir jedes „systemisch-konstruktivistische Zellelement“,
wie es Gunther Schmidt in der nachmittags stattfindenden Podiumsdiskussion
ausdrückte.
Ich merke beim Schreiben, daß es mit sehr schwer
fällt, sachlich zu bleiben, aber möglicherweise steck’ ich da im System
insofern, als das, was Hellingers Arbeit betrifft, auch nicht den Begriff
„Sachlichkeit“ verdient. Leider beginnt das schon bei der Auswahl der
Leute, die mit ihm vor einem 400-Personen-Publikum eine „Aufstellung“
machen dürfen. Ich empfand es als für die Betreffenden erniedrigend und entwürdigend,
wenn Hellinger betont, nur mit körperlich Schwerstkranken arbeiten zu wollen,
also am liebsten MS, schwerer Diabetes, usw. - als ob psychisches Leid weniger
wert sei. Oder kann’s nicht so gut in Szene gesetzt werden, oder kann man
sich mit MS - und Krebserkrankungen derzeit besser profilieren? -
Mir fiel auch auf, daß Hellinger wie selbstverständlich jeden duzt,
als ob ein „Kranker“ nicht das Recht auf ein „Sie“ habe, bzw. nicht so
mündig sei, sein Einverständnis zu einem „Du“ zu geben. Dies mit dem/der
Klienten/in auszuhandeln, kostet zwei Sätze, mehr nicht, trägt aber zu einer
etwas ausgewogeneren Therapeut-Klient-Interaktion bei, in der der Klient v.a.
als mündiger Erwachsener akzeptiert
wird.
Bevor ich meinem zugegebenermaßen kritischen Unmut noch mehr Luft mache, möchte
ich einiges zu den auf der Bühne
gezeigten Familienaufstellungen sagen. (Es war wirklich wie in einem
Theater auf der Bühne, da die Veranstaltung in der Aula der Uni stattfand.)
Hellinger schaffte es, mit einem Wahnsinnstempo 5
Aufstellungen in drei Stunden durchzuziehen (ich als seit zehn Jahren tätige
Familientherapeutin bin froh, wenn mir eine Stunde für eine fundierte
Familienskulptur reicht!). Jeder Betroffene stellte zuerst seine Sichtweise der
Ursprungsfamiliensituation in sehr minimalistischer Anordnung, so daß
eigentlich nur die Dimension Nähe-Distanz und wer steht bei wem, eine Rolle
spielen. Die erste Frage Hellingers richtet sich auf die Besonderheiten in
einer Familie; und damit ist er natürlich schnell dran an den sog. „Leichen
im Keller“, denn welche Familie hat die nicht? Ressourcen oder Potentiale in
einer Familie interessieren nicht. Die Frage nach den Besonderheiten führt zu
einem recht einfachen Regelsystem, das vor allen Dingen aus Hellingers
„Erfahrung“ herrührt. Das sind dann so Sätze , die mit einem „das
ist so“ begründet werden. Ich zitiere ihn nun wörtlich aus der
Veranstaltung: „Wenn in einer Familie jemand wegen einer Totkrankheit dauernd am
Sterben ist, sagt das Kind ‘lieber ich als du’, wird möglicherweise
selbst krank, z.B. MS“ - so einfach ist das. Oder
„wenn ein Kind erlebt, daß ein Geschwister stirbt, dann möchte das
Geschwister dem nachfolgen“, und wird depressiv, suizidal, usw. Die Lösung
dieser Konfliktsituationen besteht dann in einer „Ehrung desjenigen, dem man
in den Tod folgen will“. Dies erfolgt am Ende einer Aufstellung, nachdem die
vom Klienten gestellte Situation so oft von Hellinger verändert wurde, bis
jeder den Platz, den er bekommen hat, in Ordnung findet. Das ist dann die
„bessere Ordnung“.
Wenn Personen in solchen szenischen Darstellungen
nicht den Platz einnehmen wollen, den Hellinger ihnen zuweist - z.B. wollte
eine Frau nicht in die Nähe des Mannes aus erster Ehe - wird sie mehr oder
weniger genötigt, wenn Hellinger dies als richtige „Ordnung“ ansieht.
Seiner Meinung nach weiß der Therapeut schließlich aus Erfahrung, „was
die bessere Ordnung ist“. Begriffe wie Kooperationsfähigkeit oder
Eigenkompetenz des Klienten, also der Fähigkeit, selbst herauszufinden, was
gut für einen ist, scheinen ihm fern zu sein. Die Art und Weise, wie er
interveniert, ist teilweise intuitiv richtig und er kommt in der Tat schnell
und oft auf wichtige Punkte. Teilweise erlebe ich sein Arbeiten aber auch
manipulativ und ihn Macht ausübend.
Große Probleme habe ich mit seinen Feststellungen
und Überzeugungen, die er wie feste Regeln
postuliert. Da mußte ich mir dann Thesen anhören, wie „wenn
sich ein Mann leichtfertig von einer Familie trennt,
ist das wie ein Kapitalverbrechen, und muß gesühnt werden, oder es stirbt ein
Kind. Also muß der Mann wieder zurück.“ Also so geht’s ja wohl nicht!
Oder hab’ ich mich verhört, etwas aus dem Zusammenhang gerissen (schon
wieder!) und nur nicht verstanden? Mich erinnert das Ganze jedenfalls
streckenweise stark an Sätze, die ich als Kind mal von irgendwelchen
Kirchenkanzeln herab gehört hatte, und da durfte es ja auch keinen Widerspruch
geben
Ich merke, daß es sehr schwierig ist,
differenziert Stellung zu beziehen - ich reiße ja wirklich vieles aus seinem
Zusammenhang, aber ich kann nicht wegsehen über mein tiefes Gefühl von
Unbehagen, das mich während des gesamten Workshops begleitet hat. Und so wie
ich auch während einer Therapie auf das achte, was ich fühle, und das sehr
ernst nehme, möchte ich dies Unbehagen in bezug auf Hellingers Arbeit ernst
nehmen und auch andere auffordern, sich sehr kritisch damit auseinanderzusetzen.
Natürlich wäre es so einfach, Personen irgendwelche ritualisierte Formeln
sagen zu lassen, und die Aussöhnung ist paletti! Meiner Erfahrung nach sind
die meisten Schwierigkeiten, derentwegen Leute in Therapie kommen, etwas
komplexer, als daß man/frau ihnen durch diese Art
„Schubladeninterventionen“ gerecht werden könnte.
Ich denke, daß die Art und Weise, in der Bert
Hellinger arbeitet, bei den betroffenen Personen viel auslöst, und dadurch
auch förderliche Prozesse in Gang gesetzt werden können. Er inszeniert ja
auch mit markanten, emotional tiefgreifenden Worten (da ist er durchaus hypnotherapeutisch!)
eine bewegende tragische Stimmung, die durch wiederum sehr emotionsfördernde
Formeln und ritualisierte Sätze in der Lösung als Höhepunkt eskaliert. Mich
hat vieles in seinen Aufstellungen an alte griechische Tragödien erinnert; die
hatten auch so ein minimalistisches Prinzip, mit möglichst wenig Aufwand viel
Effekt zu erzielen.
Während ich im Workshop keinerlei Kritik vernahm,
ich selbst in der Pause eher aneckte, ob meiner kritischen Betroffenheit,
verlief der Nachmittag mit Vorträgen zu Hellingers Arbeit etwas
ausbalancierter. So kritisierte P. Nemetschek, daß die Formeln und Glaubenssätze
aus kirchlichen Ritualen herrührten, mit Therapie aber weniger zu tun hätten;
daß Hellinger eine demütige Haltung von Klienten fordere, selbst aber 21 Fälle
in 2 Tagen runterreiße, was Nemetschek keineswegs demütig finde. Viel Kritik
rief Hellingers Haltung zum Nazi-Reich und seine Äußerungen über Hitler
hervor, den er als „auch Gottgesandten“ bezeichnete, sowie seine
undifferenzierten Äußerungen zum Holocaust und Widerstand in einer der
letzten Ausgaben von „Psychologie Heute“.
Harsche Kritik auch von U. Freund, daß die
Arbeit Hellingers keine Ambivalenzen zuläßt. Ich denke, das ist einer
der Hauptmängel, da größtenteils Ambivalenzen und das Aushalten
derselben unser Leben bestimmt. Also mehr „das Sowohl als auch“, denn
„das Entweder-oder-Denken“. Kritik fand die Dogmatik seiner Arbeit,
der teils würdelose Umgang mit den Betroffenen, die patriarchalische
Werthaltung. Er sieht in dieser Arbeit eine Antwort auf die maßlose
Verblendung der 68er-Generation in der Weise, daß nun quasi eine Art Rückfall
in totalitär-rigide Denkmuster und Werthaltungen erfolgt, nachdem der maßlose
Autonomie- und Freiheitsdrang der 68er auch nicht das Glück allein
bescherte.
Am meisten konnte ich mit den Anregungen
Gunther Schmidts anfangen, der sowohl die intuitiven Fähigkeiten
Hellingers zu würdigen wußte, aber auch zeigen konnte, wo wohl seine
Grenzen sind. Mir wurde zumindest klar, daß die Arbeit Hellingers absolut nichts mit systemorientierter Familientherpie zu tun hat,
sondern eine Art archetypische
innere Reorganisationstherapie ist, wobei Hellinger mit inneren
Familienbildern in seinen Familienaufstellungen arbeitet. Diese
Aufstellungen haben nichts mit Skulpturarbeit gemeinsam und sind nicht aus
der direkten Arbeit mit Familien entwickelt worden, sondern aus dem
gruppentherapeutischen Setting. Die Auslösung neuer innerer
Organisationsmuster kann durchaus eine heilsame Betroffenheit auslösen;
wobei ich mich aber frage: was passiert mit den Leuten danach? Z.B. wenn
ich mitkriege, daß man im Falle eines suizidalen Familienmitgliedes nach
Hellinger dieses ruhig ziehen lassen solle; man komme ja schließlich
irgendwann nach. Schwierig wird’s für mich in dem Fall, wo - wie unlängst
in meiner Praxis erlebt - ein Heilpraktiker in Hellinger-Arbeit sich übt
und einer Frau in Trennungssituation rät, auf ihren Mann zu achten, da
sich ein Onkel mütterlicherseits vor x-Jahren suizidierte, und die Frauen
wohl auf diese Weise ihre Männer verlören. Das Problem ist m.A. also, daß
eine große Gefahr darin besteht, daß hier sehr unverantwortlich mit sehr
publikumsträchtigen Therapiemethoden umgegangen wird.
Daß diese Arbeit solchen Anklang findet,
liegt sicher an dem zunehmenden Bedürfnis nach Einfachheit, klaren
Strukturen - also bitte schwarz auf weiß - aber keine Zwischentöne.
Vielleicht liegt es auch ein bißchen daran, daß wir Therapeuten es gerne
ein wenig einfacher hätten, mehr solche Rezepte hätten, nach denen wir
arbeiten könnten. Da wäre doch so eine Art Therapiekochbuch mit
Formelsammlung der Sätze, die unsere Klienten in bestimmten Aufstellungen
zu sagen haben, recht praktisch. In mir kommt da aber doch so eine (wohl
noch nicht so recht mit inneren Familienbildern ausgesöhnte) Rebellin
hoch, die zu dieser Formelsammlung nicht „das ist so“ sagen kann, wie
es Bert Hellinger tut. Ich möchte weiter mit Familien auch an
Ambivalenzen arbeiten und möchte auch weiterhin davon ausgehen können,
daß Klienten ganz tief innen drinnen selbst ein Gespür dafür haben, was
gut für sie ist. Ich möchte sie als mündige, eigenverantwortliche
Menschen sich entwickeln sehen, die selbst die Sätze finden, die sie
sagen wollen und daß sie selbst entscheiden, ob für sie der Aussöhnungsweg
der richtige ist, oder der des Widerstandes. Die tiefe Sehnsucht nach
klarer Ordnung, die vielleicht in uns steckt, darf uns nicht die Augen
verschließen vor der Komplexität der meisten Systeme, mit denen wir zu
tun haben. Dies ist zwar der schwierigere Weg, aber ich glaub’ der, der
der Natur unseres Lebens angemessener ist.
Zur Autorin:
Familientherapieausbildung am MFK von 1983 bis
1987, anschließend Verhaltenstherapieausbildung. Nach langjähriger eher
sozialpsychiatrisch orientierter Arbeit seit 1987 in eigener
psychotherapeutischer Praxis tätig mit dem Schwerpunkt systemorientierter
Arbeit mit Einzelnen, Paaren und Familien. Supervisionstätigkeit für das
MFK seit 1988. Meine privaten Schwerpunkte sind mein Mann, unsere drei
Kinder und mein Garten!
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