Yvonne Dolan, eine Kurzzeit-
und Hypnotherapeutin aus Colorado, leitete vom 18. - 20. Mai 1998 beim
Norddeutschen Institut für Kurzzeittherapie, Bremen, ein sehr
praxisorientiertes Kompaktseminar. Meine Teilnahme war mit großen
Erwartungen verbunden, da ich durch meine Beratungstätigkeit im
Sozialpsychiatrischen Dienst Planegg Frauen kenne, die in der
Vergangenheit seelisch, körperlich oder sexuell missbraucht worden sind
und heute unter Depressionen, multiplen Ängsten oder Essstörungen leiden.
Yvonne
therapiert seit über 20 Jahren Menschen mit Missbrauchs- und
Gewalterfahrungen, u.a. auch "Straßenkinder" und Prostituierte
in beschützten Heimen. Sie zeigte uns zunächst die Grundvoraussetzung
auf, betroffene Klienten/innen auf dem Weg vom Opfer, welches Scham- und
Schuldgefühle hat, zur Überlebenden zu begleiten:
Welche
Ressourcen, welche Personen haben geholfen, ein Trauma (Missbrauch,
Folter, Überfall u.ä.) zu überleben? Die meisten Betroffenen wollen
sich das Trauma "von der Seele reden". Um sich zu erholen, muss ihre Gegenwart genauso lebendig werden wie die Vergangenheit:
"Was tun
Sie, wenn Sie nicht an das Trauma denken? Welches sind die Dinge
(Aktivitäten, Talente, Interessen, Beziehungen, Rituale) in Ihrem
gegenwärtigen Leben, die Sie erhalten möchten? Welche Hoffnungen und
Zukunftsträume haben Sie?"
Diese Liste
kann jede/r als "Notfallkoffer" bei sich tragen, auch
nachts, wenn Alpträume oder Flashbacks (sich immer wiederholende
Sequenzen aus dem Trauma) auftauchen. Er dient der Musterunterbrechung des
Traumas. Yvonne führt diesen therapeutischen Schritt gern als "Rainy
Day Letter" an die eigene Person ein.
Yvonne hat zwei lösungsorientierte Lieblingsfragen, die uns durch das
Seminar begleiteten:
-
Was ist das
erste Zeichen, der erste, kleine Schritt, dass das Trauma weniger Einfluss
auf Ihr Leben hat?
- Worüber werden Sie nachdenken, anstatt an die Vergangenheit
zu denken?
Wenn eine Klientin mit "Ich weiß nicht"
antwortet, könnten wir fragen:
"Was
würde Ihr Partner (Ihr Kind, Ihre Freundin) als das 1. Zeichen benennen, dass
die Dinge sich bessern? Wer aus Ihrem Leben wäre am wenigsten
überrascht, wenn sich etwas ändert?" Es ist wichtig, dass die
Überlebenden mit dem Teil des Lebens wieder in Kontakt kommen, der
größer ist, d.h. die Gegenwart wird lebendiger gemacht. Milton Erickson,
auf den sich Yvonne öfters bezieht, nennt dies "Verwässern"
des Traumas durch Hinzufügung nichttraumatischer Inhalte, bis das Trauma
nur noch ein kleiner Teil des Ganzen ist.
In der "Time
Line", die Vergangenheit und Gegenwart verknüpft, fordert Yvonne
ihre Klienten/innen auf, angenehme und unangenehme Ereignisse ihres
Lebens, mit genauer Zeitangabe, zuzüglich damaliger Gefühle, grafisch zu
fixieren. Die Visualisierung schafft Zugang zu unbewussten Ressourcen, die
verwirklicht werden könnten:
"Wie
fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie an die damaligen Gefühle denken?"
Brachliegende Stärken zur positiven Zukunftsorientierung aktiviert Yvonne
durch die Fragestellung:
"Stellen
Sie sich vor, Sie sind eine alte, weise, gesunde und immer noch
gutaussehende Frau geworden. Welchen Rat würde diese Ihnen für die
Gegenwart geben? Was sollen Sie in Erinnerung behalten, was hätten Sie
anders machen sollen? Woran - hoffen Sie - werden sich Ihre Kinder
erinnern, wenn sie in Ihrem jetzigen Alter sind?"
Um Träume, Hoffnungen und "verrückte
Ideen" zuzulassen, ist es sehr effektiv, einer Freundin/ einem Freund
einen "Brief aus der Zukunft" zu schreiben. Zu meinem
Erstaunen habe ich in der Übung viele Ereignisse im imaginären Jahr 2010
als real beschrieben, die heute, 1998, noch Zukunftsträume sind.
Viele
Menschen, die missbraucht worden sind, haben Angst, die Kontrolle über
sich zu verlieren. Ihre extreme Wachheit der Sinne, die ich als Ressource
betrachte, nutzt Yvonne, indem sie die Klientin ein inneres Bild für
Zufriedenheit und Sicherheit assoziieren lässt:
- Stellen Sie sich einen Ort vor, an dem Sie sich entspannen können.
- Beschreiben Sie im Detail Ihre visuellen, akustischen und
kinästhetischen Wahrnehmungen, bezogen auf den Ort.
- Genießen Sie Ihren momentanen mentalen Zustand.
- Wählen Sie ein "Souvenir" des inneren Bildes aus.
- Malen oder schreiben Sie dieses Symbol auf ein Stück Papier, welches
Sie später an einem leicht erreichbaren Ort aufbewahren können.
Besonders beeindruckend sind Yvonnes "Healing
Letters" in bezug auf sexuellen Missbrauch, die, wie auch die
anderen therapeutischen Briefe, nicht an den Adressaten zu schicken sind::
- Den 1. Brief schreibt die Missbrauchte an den Missbraucher, um sich von
nicht verarbeiteten Gefühlen zu befreien.
- 2. Brief: Der Missbraucher reagiert in aggressiver Form.
- 3. Brief: Die Missbrauchte schreibt, welchen Brief sie sich von ihm
gewünscht hätte. (Der 2. und 3. Brief muss in einer Sitzung geschrieben
werden.)
- 4. Brief: Die Missbrauchte antwortet auf den 3. Brief.
Bei von
sexuellem Missbrauch Betroffenen treten in späteren Partnerschaften oft
Blockaden auf, die durch einen konkreten Sinnesreiz, z.B. eine bestimmte
Berührung, entstehen:
- Um welchen Auslöser handelt es sich wann?
- Wann und wo gibt es Ausnahmen?
- Was müsste deutlich passieren, damit die Klientin klar unterscheiden
kann, daß es sich um ihren Partner und nicht um den Missbraucher handelt?
Yvonnes "Rainy Day Letter for Couples"
enthält u.a. folgende Fragestellungen:
"Was mögen Sie
an Ihrer Partnerschaft am meisten? Welche Eigenschaften schätzen Sie an
Ihrem Partner besonders? Welche gemeinsamen Aktivitäten möchten Sie am
ehesten beibehalten?"
Die häufigste
Reaktion auf Missbrauch sind depressive Erkrankungen. Wenn eine Klientin
sehr verzweifelt ist, fragt Yvonne u.a.:
"Was
können Sie in den nächsten 24 Stunden tun? Was ist in den letzten 24
Stunden "Nicht-zu-Schreckliches" passiert?"
Bei selbstmordgefährdeten Menschen kann Skalierung
nützlich sein:
Y.:
"Was ist die positive Intention, sich das Leben zu nehmen?"
Kl.:
"Erleichterung."
Y.: "Wieviel
Prozent von Ihnen sagen das?"
Kl.: "80
%."
Daraufhin
fragt Yvonne die restlichen 20 % im Detail ab, Sie hat die Gabe, sehr
einfühlsam und unbedarft zu fragen, besonders bei Kindern und
Jugendlichen, um möglichst viel zu erfahren.
Abschließend
beschreibt uns Yvonne den "Feuermelder". Bei einer
Familie, in der körperliche Gewalt passierte, führte sie nach
Therapieende einen Stein ein. Dieser liegt an einem bestimmten Ort der
Wohnung. Wenn ein Familienmitglied an der familiären Sicherheit zweifelt,
verrückt es ihn anonym. Daraufhin muß ein neuer Termin bei Yvonne
vereinbart werden.
Es spricht für Yvonnes Größe, dass sie,
bevor wir uns bei ihr bedanken konnten, sich bei uns als Gruppe für die
Vielfalt an Wissen bedankte. Gerade aufgrund der zahlreichen Übungen mit
Selbsterfahrungsanteilen habe ich viel für meine zukünftige
Beratungstätigkeit gelernt. Ich denke, ich kann meinen Klienten/innen
hoffnungsvoller und gerüsteter entgegengehen. Ich bin dankbar, dass ich
durch Yvonne Dolan und den Kollegen/innen aus ganz Deutschland über den
"bayerischen Tellerrand" blicken durfte.
Literatur:
Dolan Y.: "One Small Step"
Dolan Y.:
"Resolving Sexual Abuse".
zurück zur Übersicht
|